Was es braucht, um soziokulturelle Zentren zukunftsfähiger zu machen

„Nachhaltigkeitskultur“ als Forschungsgegenstand an der Universität Hildesheim

 

„Was braucht´s?“ lautet der Titel des im Mai 2019 veröffentlichten Statistikberichtes der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. Bestandteil sind erstmals bundesweit erhobene Daten zur zukunftsfähigen Arbeitsweise soziokultureller Zentren. Die Bestandsaufnahme zeigt: Zukunftsfähigkeit ist seit Jahren Schwerpunkt der Gestaltung von Programmen und Prozessen (vgl. Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren 2019: Extrakt). Ebenso deutlich aber offenbaren sich auch enorme Lücken, insbesondere im Zusammenhang mit Fragen der Nachhaltigkeitsberichterstattung und einer unzureichenden Leistungskraft, sich noch klimafreundlicher auszurichten.

Der vorliegende Beitrag wirft einen vertiefenden, selbstkritischen Blick auf die Ergebnisse der Befragung, schaut auf bereits Geleistetes, deutet die Lücken und geht der zentralen Frage nach, was es braucht, um soziokulturelle Zentren zukunftsfähiger zu machen. Dieser Beitrag weist vier politikfeldübergreifende Entwicklungspotentiale aus, die sich sowohl an die Mitgliedseinrichtungen, Verbände sowie politischen Entscheidungsträger richten.

 

Bestandaufnahme implementieren

Um es vorwegzunehmen: Die Bestandsaufnahme der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. zur Nachhaltigkeitskultur ihrer Mitgliedseinrichtungen in Deutschland hat Aussagekraft. Sie bietet erstmals Antworten, wirft zugleich aber auch weiterführende Fragen und Perspektiven auf.

Aber der Reihe nach.  Am Anfang einer Untersuchung stehen eine Vielzahl von Fragen, die so bunt und vielfältig sind wie die Szene selbst. Ausgehend von der Tatsache, dass vorherige statistische Erhebungen und Berichterstattungen ihr Hauptaugenmerk auf die Wirkungsfelder >>Gesellschaft<< sowie >>Finanzen<< konzentrieren (vgl. Müller-Espey 2019: Kapitel 8.1), stellt sich im Zusammenhang mit einer nachhaltigen Betriebsführung die Frage, wie es bei den Mitgliedseinrichtungen um das Wirken in weiteren Feldern bestellt ist.

Wissenswert wäre beispielsweise, ob soziokulturelle Zentren ihre Arbeit anhand von Leitsätzen oder Leitbildern ausrichten (Strategisches Wirkungsfeld), ob es in den Mitgliedseinrichtungen Personen oder Arbeitsgruppen gibt, die für das Thema Nachhaltigkeit verantwortlich sind (Prozessebene) oder ob bei der Beschaffung auf Fair Trade, Bio-Siegel, recycelbare Materialien achtgegeben wird (Umweltperspektive).

 

Über diese und weitere Fragen gibt die Erhebung „Was braucht´s?“ erstmals Auskunft.

Wir wissen nun, dass 61 Prozent der Mitgliedseinrichtungen nach einem Leitbild arbeiten, dass 68 Prozent bei der Beschaffung ethische Konsumkriterien zu Grunde legen, dass 50 % niemanden haben, der sich für das Thema Nachhaltigkeit verantwortlich zeigt.

Mit der Bestandsaufnahme wird eine Kenntnislücke geschlossen, die zugleich die Aussicht eröffnet, nachhaltige Entwicklung durch eine bereits vorgesehene, erneute Status-Befragung in zwei Jahren aufzeigen zu können, insbesondere vor dem Hintergrund ebenfalls erfasster Absichtserklärungen der Mitgliedseinrichtungen.  So wird sich in der nächsten Befragung zeigen, ob die Anzahl der Betriebe, die erneuerbare Energien nutzen, von aktuell 43 Prozent weiter steigen wird. Immerhin weitere 22 Prozent der befragten Mitgliedseinrichtungen streben dies ja an.

Welche weiteren Schlüsse lassen sich aus der Erhebung ziehen? Wie sind die nun vorliegenden Antworten zu deuten?

 

Klimafreundlichkeit stärken

Es ist als positives Signal zu bewerten, dass 27 Prozent der Mitgliedseinrichtungen die Bereitschaft signalisieren, sich für das Thema Nachhaltigkeit mehr zu engagieren. Kaum vorstellbar, welche Wirkungskraft die Betriebe entfalten könnten, wenn ihr Handeln nicht von einer personellen Unterversorgung eingeschränkt wäre. Der zukunftsweisende, politische Wirkungshebel auf die Frage, was es braucht, würde in diesem Zusammenhang lauten: Mehr Personal, mehr Klimafreundlichkeit!   Fehlende Nachhaltigkeitsbeauftragte unterstreichen die Forderung der Bundesvereinigung, die Mitgliedseinrichtungen personell zu stärken.

Unter energetischen Gesichtspunkten wird ein weiteres Kernanliegen der Bundesvereinigung, Zuschüsse für Bau und Investitionen zu fordern, durch die nun vorliegenden Befunde nicht nur drängender, sondern auch aussichtsreicher.

27 Prozent der Mitgliedseinrichtungen haben in den vergangenen fünf Jahren eine Energieberatung durchgeführt, weitere 14 % streben dies an.  Die Beratungsprotokolle bieten eine solide Ausgangsbasis, Investitionen anhand fachkundig formulierter Handlungsempfehlungen bedarfsorientiert und klimagerecht vornehmen zu können.

Was es braucht? Ein bundesweit aufgelegtes Förderprogramm würde die Betriebe bei dem Bestreben unterstützen, zukünftig ressourcenschonender veranstalten zu können. Dies ist unter den gegebenen Umständen auch ratsam, da aktuell 45 Prozent der befragten Zentren keine Reduktionsziele beim Ressourcenverbrauch setzen, 28 Prozent dies aber anstreben.

 

Immerhin 20 Prozent der befragten soziokulturellen Zentren formulieren Reduktionsziele, diese konzentrieren sich auf fünf Hot Spots:

  1. Verringerung des Strom- und Energieverbrauchs (18 Nennungen).
  2. Nutzung energieeffizienter Lichttechnik (13 Nennungen).
  3. Reduzierung des Papierbedarfs (8 Nennungen).
  4. Vermeidung von Plastikmüll (8 Nennungen).
  5. Einsparung von Ressourcen beim Heizen (6 Nennungen).

(Grundlage sind fast 100 Einzelnennungen von 20 Prozent der Mitgliedseinrichtungen zu Frage G.5.4.: Habt ihr euch Reduktionsziele beim Verbrauch von Ressourcen gesetzt? Falls ja, welche?)

 

 

Zukunftsfähigkeit sichtbar machen

Die Erhebung zeigt, dass es möglich ist, Beiträge der Szene zur Ausprägung einer Nachhaltigkeitskultur sichtbarer zu machen, steuerbarer zu gestalten. Wie bereits auf dem Workshop in Erfurt zum Thema „Nachhaltigkeit in der Soziokultur“ vereinbart (vgl. Staal 2018: 28), soll auch in diesem Beitrag dem stark übernutzen Terminus Nachhaltigkeit der Begriff Zukunftsfähigkeit zur Seite gestellt werden. Nachhaltigkeit steht im soziokulturellen Verständnis für eine frühere, überholte Sichtweise, das Leitmotiv Zukunftsfähigkeit symbolisiert das Neue, zukünftig Notwendige. Er hebt die Gestaltungskraft des Menschen hervor und stellt dem beginnenden Zeitalter des Anthropozäns eine befähigende Kraft zur Zukunftsbewältigung an die Seite (vgl. Müller-Espey 2019: Kapitel 1.3).

Noch zeigen sich bei der Kommunikation und Berichterstattung über klimafreundliches Verhalten gravierende Lücken. Lediglich 7 Prozent der Mitgliedseinrichtungen verfolgen eine regelmäßige Berichterstattung, 43 Prozent möchten allerdings mehr über die Steuerung der Organisation und Berichterstattung erfahren. 23 Prozent zeigen zudem Interesse, sich strategischer auszurichten. Was es zukünftig braucht, liegt auf der Hand, denn die  Signale der Zentren sind eindeutig. Sie formulieren Entwicklungsziele, die im Idealfall gleich zukunftsfähigen Anforderungen entsprechen sollten. Ein Nachhaltigkeitsbericht wie der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK)  könnte bei der Umsetzung der Absichtserklärungen  unterstützen und zukünftig eine bedeutsamere Rolle spielen als bisher, denn noch ist der DNK in der soziokulturellen Szene lediglich 11 Prozent der Befragten bekannt, Anwendung findet er aktuell überhaupt noch nicht.

Ein Transparenzstandard wie der DNK kann eine wertvolle Orientierungshilfe und Unterstützung bei der strategischen Ausrichtung und Berichterstattung bieten, wenngleich auch nicht in der bisher bestehenden, primär für Wirtschaftsbetriebe konzipierten Form. Eine branchenspezifische Fassung, die auf  wesentliche Anforderungen soziokultureller Zentren zugeschnitten ist, wäre erforderlich und eben daran arbeitet das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim in Kooperation mit der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. im Rahmen des Projektes >>Nachhaltigkeitskultur entwickeln – Praxis und Perspektiven soziokultureller Zentren (www.jetztinzukunft.de), gefördert mit Mitteln des Fonds Nachhaltigkeitskultur des Rates für Nachhaltige Entwicklung.

 

Für die Ausgestaltung eines branchenspezifischen Nachhaltigkeitskodex für soziokulturelle Zentren gibt es gute Gründe, denn berichten heißt „nicht nur Daten sammeln, sondern auch genau hinschauen und analysieren. So werden Schwachstellen aber auch ungenutzte Möglichkeiten sichtbar“ (Rat für Nachhaltige Entwicklung und Bertelsmann Stiftung 2014, S. 7). Um zukunftsfähig aufgestellt zu sein, braucht es einrichtungsspezifisch gesetzte Zielrichtungen, die in einem zweiten Schritt mit messbaren Kriterien hinterlegt sind, um den IST-Stand und die Entwicklung sichtbarer machen zu können. Hier zeigt sich ein Qualitätsmerkmal des Kodex, da es höchst sinnvoll erscheint, Zielsetzungen zugleich an nachhaltigen, in unserem Verständnis zukunftsfähigen, Ausrichtungen zu orientieren. Zudem ließe sich bei der Anwendung zugleich eine weitere Lücke schließen, denn aktuell nutzen 51 Prozent der Mitgliedseinrichtungen keine Kennzahlen, 24 Prozent möchten mehr über eine Anwendung erfahren. Und dies ist nur zu begrüßen, denn von den bereits genutzten Kennzahlen lässt sich viel lernen, auch für die Ausgestaltung eines branchenspezifischen Nachhaltigkeitskodex, wie die folgenden vier Beispiele zeigen:

 

Wirkungsfelder, Kriterien & Kennzahlen soziokultureller Zentren mit Nachhaltigkeitsbezug


Abb. 1: Wirkungsfelder, Kriterien & Kennzahlen soziokultureller Zentren mit Nachhaltigkeitsbezug. Eigene Darstellung.

Die Abbildung bezieht sich auf ein bereits im Rahmen der Pilotstudie >>Zukunftsfähigkeit gestalten!<< entworfenes Raster. Es zeigt exemplarisch den Bezug bereits genutzter Kennzahlen zu Kriterien des Nachhaltigkeitskodex, konkretisiert die Messwerte und weist darüber hinaus noch rahmengebende Verknüpfungen zu globalen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) aus. Eine solche Zuweisung ist neu und auch im bestehenden DNK noch nicht berücksichtigt. In einem Branchenkodex für soziokulturelle Zentren sollten diese unbedingt ausgewiesen werden, um die Beiträge der soziokulturellen Szene zu den 17 SDGs und das eigene Nachhaltigkeitsverständnis sichtbarer zu machen. Erfreulich ist, dass mit der vorgenommenen Bestandsaufnahme nun statistische Vergleichswerte vorliegen.

 

Kriterien definieren

Als bedeutsamsten Befund der Bestandsaufnahme lasst sich final festhalten:  Zukunftsweisendes Verhalten soziokultureller Zentren lässt sich anhand von Kriterien und Wirkungsfeldern transparent machen. Die Erhebung zeigt, dass die Mitgliedseinrichtungen schon heute nachhaltig wirksame Beiträge leisten, sie versäumen aber, diese Leistungen für das Gemeinwohl und die Umwelt deutlich zu vertreten. Und die Absicht, noch klimafreundlicher als bisher veranstalten zu wollen, dürfte insbesondere für Agenda 2030 Prozessverantwortliche und kulturpolitische Entscheidungsträger von größtem Interesse sein, zielt doch das Hauptanliegen der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie darauf ab, das Mitmachen zu befördern (vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2015, S. 26).

 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die vorgenommene Bestandsaufnahme der Bundesvereinigung eine valide Entscheidungsgrundlage bietet, das signalisierte Interesse, noch klimafreundlicher agieren zu wollen, proaktiv zu unterstützen. Als zukunftsweisende Entwicklungsperspektive wird das bisher kaum genutzte Potential deutlich, mehr über bereits geleistete Nachhaltigkeits-Aktivitäten zu berichten. Die Absichtserklärung der Zentren, Prozesse zukünftig gezielter steuern und über Entwicklungsziele mehr berichten zu wollen sind aussichtsreiche Voraussetzungen für eine zukunftsfähige Betriebsführung. Zudem ermutigt die Erkenntnis, das zukunftsweisendes Verhalten soziokultureller Zentren sich anhand von Wirkungsfeldern, Kriterien und Kennzahlen transparent gestalten lässt, das Bestreben, bis Juli 2020 einen branchenspezifischen Nachhaltigkeitskodex für soziokulturelle Zentren zu entwickeln. Es wird schon JETZT Überlegungen und Vorschläge brauchen, wie die Anwendung des dann fertiggestellten Prototyps IN ZUKUNFT  unterstützend befördert und auf weitere Kultursparten übertragen werden kann, denn dem Kernanliegen des Deutschen Kulturrates, dass „der Kultur- und Medienbereich […] selbst gefordert ist, nachhaltiger zu planen, zu entwickeln und zu produzieren“ (Deutscher Kulturrat 2019)  werden sich auch Theater, Kinos oder Museen perspektivisch nicht entziehen können.

 

 

 

 

Literaturhinweise:

 

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2015): Der neue Zukunftsvertrag für die Welt. Die 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung. Stand September 2015. Bonn. Online verfügbar unter https://www.bmz.de/de/mediathek/publikationen/reihen/infobroschueren_flyer/infobroschueren/Materialie270_zukunftsvertrag.pdf, zuletzt geprüft am 30.03.2019.

Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e. V. (2019): Was braucht´s? Soziokulturelle Zentren in Zahlen 2019. Statistischer Bericht der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. Berlin.

Deutscher Kulturrat (2019): Kulturelle Dimension der Nachhaltigkeit.

https://www.stadtkultur-hh.de/2019/04/deutscher-kulturrat-kulturelle-dimension-der-nachhaltigkeit/, zuletzt überprüft am 02.05.2019.

 

Müller-Espey, Christian (2019): Zukunftsfähigkeit gestalten. Untersuchung nachhaltiger Strukturen soziokultureller Zentren. Peter Lang Verlag, Berlin (Veröffentlichung der Studie voraussichtlich im Mai 2019).

 

Rat für Nachhaltige Entwicklung; Bertelsmann Stiftung (2014): Leitfaden zum Deutschen Nachhaltigkeitskodex. Orientierungshilfe für mittelständische Unternehmen. Unter Mitarbeit von Sabine Braun und Heike Leitschuh. Publikation. Berlin: GIZ.

 

Staal, Margret (2018): Die Zukunft im Blick. In: Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. (Hg.): SOZIOkultur. Im Dialog. Berlin (2-2018), S. 28

Schreibe einen Kommentar